Über die Zeitmessung im Schach - Die Geschichte mit dem "Gong" und andere kuriose Versuche Die Idee, die Bedenkzeit im Schach zu begrenzen, ist noch nicht sehr alt. Noch im Jahr 1850, mitten in der Hochzeit der industriellen Revolution, als Dampfloks schon zum gewohnten Bild gehörten, gab es im Schach keine Zeitbeschränkung. Jeder Schachspieler dachte damals einfach so lange nach, wie er es für notwendig hielt. Partien mit einer Dauer von bis zu 20 Stunden waren hier keine Seltenheit. Kuriose Zwischenfälle blieben da nicht aus. Beim ersten internationalen Turnier der Schachgeschichte, dem Londoner Match 1851, vermerkte der Sekundant nach 10 Stunden Spielzeit in seinem mitternächtlichen Protokoll: „Both players are sleeping“ (Beide Spieler schlafen) ! Erstmals fand im Jahr 1853 ein Wettkampf mit Begrenzung der Bedenkzeit statt. In den Partien zwischen Harrwitz und Löwenthal verwendete man eine Sanduhr. War der Sand durchgelaufen, und das geschah hier innerhalb von 5 Minuten, musste der Spieler einen Zug ausführen. Danach drehte er seine Uhr in die waagerechte und die des Gegners in die senkrechte Position. Nun war der Kontrahent am Zug. Bei der inoffiziellen Weltmeisterschaft 1866 zwischen Anderssen und Steinitz versuchte man es dagegen mit vom Schiedsrichter bedienten Stoppuhren. So verteilte man das Zeitlimit sinnvollerweise auf eine Serie von Zügen. Erst 1883 meldete der Engländer Wilson ein Patent an, das bis heute den Schachuhren zugrunde liegt. Diese Uhr besteht aus einer Doppeluhr, mit jeweils einem Mechanismus und einem Zifferblatt, untergebracht in einem Gehäuse. Drückt man nach ausgeführtem Zug einen Knopf, wird die eigene Uhr aus- und die andere Uhr eingeschaltet. Der Sinn dieser Version war, dass man damit die Vorteile beider Varianten koppelte. Es wurden keine Helfer für die konkrete Zeitmessung mehr benötigt und es musste kein einzelner Zug mehr auf "Kommando" geschehen. Um die Zeitüberschreitung exakt messen zu können, wurde im Jahr 1899 durch den Niederländer Mejer angeregt, die Uhren mit einem Fallblättchen auszustatten. In Deutschland wurden diese Uhren erst 1919 zur Regel. Der in England gebräuchliche Ausdruck für das Blättchen lautet übrigens Guillotine, was ziemlich klar die Endgültigkeit der Geschichte widerspiegelt. Die Regel, dass eine Zeitüberschreitung den Verlust der Partie zur Folge hat, war allerdings am Anfang noch kein Dogma. Einen Mehrverbrauch der Bedenkzeit konnte man vielerorts noch mittels Geldzahlung legalisieren. Erst mit der Gründung der FIDE im Jahr 1924 wurden nach und nach einheitliche Regeln geschaffen. Damit war das Problem der Zeitmessung gelöst. Bei größeren Turnieren gab es oft aber eine andere, ganz banale Schwierigkeit. Die Beschaffung des benötigten Spielmaterials! Eine Ausleihe bei einem professionellen Anbieter, wie heutzutage üblich, scheiterte einfach an dem Nichtvorhandensein eines solchen. So wurde die Variante (kam z.B. auch beim Windbergpokal zum Einsatz), die Spielpartner zum Mitbringen des Spielmaterials zu verpflichten, überall Normalität. Andere Lösungsansätze gab es hin und wieder auch. Von einer besonders "innovativen" Idee im Blitzschach berichtet Friedbert Mückan . "Als ich 1964 bei der Freitaler Kreiseinzelmeisterschaft in Somsdorf startete, verwunderte mich anfangs das Fehlen jeglicher Schachuhren. Wie jetzt? Stattdessen stand ein Mann vor den Spielern, blickte auf den Sekundenzeiger seiner Uhr und rief abwechselnd: "Weiß jetzt!, Schwarz jetzt!, Weiß jetzt!"... Um seine Worte akustisch noch zu untermalen, donnerte er alle 8 Sekunden mit einem Schlägel auf ein mitgebrachtes Tamburin. Um das Durcheinander noch zu steigern, gab es Spieler, die ständig das "Jetzt" ignorierten, womit sie dem Gegner die Ruhe raubten. "Ziehen, ziehen" …zischten nun die Partner. Ebenso nervenaufreibend war die Variante, dem "Jetzt" zuvorzukommen. Dem Schachspieler, der diese Tortur nicht selbst durchgemacht hat, kann ich versichern, dass es schrecklich war." Andere Augenzeugen dieser Zeit berichten auch noch von Varianten mit Zeitschaltuhren oder Weckern. Auch Schachfreund Dietmar Bec kann sich an all dies noch gut erinnern: " Trotz der oben beschriebenen Probleme, war die Version bei, sagen wir einmal 30 Sekunden Schnellschach, doch recht gut spielbar. Ein guter Tipp war einfach, immer naheliegende Züge zu spielen." Eine vollkommen entspannte Sichtweise hatte der Organisator des Turnieres. In der Sächsischen Zeitung konnte man lesen: "Diese Spielweise ist zwar nicht jedermanns Sache, schärft aber ungemein das Erfassen der Situation und übt die Spieler auch darin, in einer sonst üblichen Partie auch einmal die Zeitnot zu überstehen." In diesem Sinne…"Weiß zieht!"
Heinz Gappel
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